Sage | Der Geist auf der Kanisfluh

Es ist einmal ein Männle dem Nachbar neidig gewesen um die schönen Kühe und fast gelb und grün hat es können werden, wenn es die schweren Stuck auf der Weide gesehen hat. Nach und nach aber ist ihm das Neidhäfele übergegangen, und es geht und legt heimlich neugeschälte Tannenrinden in den Weg, auf dem des Nachbars Kühe zum Trinken gegangen sind. Wie danach eine von den Kühen auf die Rinden gekommen ist, so ist sie geschlipft und über den Weg ausgetrolet, über einen Bühel hinab und hat sich das Kreuz gebrochen. Das Männle ist drauf herfürgekommen und hat wollen schauen, ob die Kuh auch gewiß maustot sei, geht aber verschens auch auf die gleiche Rinde und trolet über den Weg aus und über den Bühel hinab und bricht sich das Kreuz. Als es drauf vors Gericht Gottes gekommen ist, hat ihm Gottvater das Urteil gesprochen, daß es die verfällte Kuh all Nacht auf die Kanisfluh tragen und darauf wieder hinunterrollen muß, und seit der Zeit trägt es auch fleißig die Kuh all Nächt auf die Kanisfluh und ächzt dabei, daß man es zeitweise bis zum Dorf Schnepfau hört, und wenn es mit seiner Bürde auf den Spitz von der Kanisfluh gekommen ist, lacht es überlaut und trolet sie wieder hinab. Und jedesmal, wenn es sie wieder droben hat, darf es ihr ein Härlein ausreißen, und wenn die Kuh gar kein gotzigs Härlein mehr hat auf der ganzen Haut, ist das Männle erlöst.

Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 22, Seite 63