Sonnenaufgang

Eine handvoll Leute, eine kleine Gruppe, unerschrockener Bergfetzen, trafen sich heute mit mir um 03:00 Uhr in Mellau Eggbühel, um mit einem Blick noch einmal die Kanisfluh vom Tal aus zu bewundern. Stolz und mächtig steht sie da. Was der Berg schon alles gesehen oder gehört haben muss – unvorstellbar. Die Kraft die er ausstrahlt – unbeschreiblich.

Ein kurzer Blick in die Gruppe, und jedem war die Entschlossenheit anzusehen, diesen massiven Berg zu besteigen; zugegeben, es ging mit dem Auto zur Edelweißhütte, aber das war uns top ausgerüsteten erfahrenen Bergfreunden, welche wir jetzt alle, bei der Autofahrt geworden, sind, egal.

Die Nacht war sehr kurz, aber um das echte Berggefühl zu erleben, muss man das in Kauf nehmen. Ausschlafen kann man immer noch.

Mit dem Auto rauf, es ist kühl – aber vielleicht empfinde ich das wegen meinem Schlafmangel auch so – und es ist unfassbar still. Mein Magen knurrt, aber als man das laut gehört hat, hab ich die Schuld den Gemsen gegeben. Kleiner Snack zur Stärkung/Beruhigung – ein Kaugummi – richtiges Frühstück gibt es erst danach.

Der Alpengasthof liegt auf ca 1400 Meter, die Nacht ist glasklar. Das frühe Aufstehen hat sich jetzt schon gelohnt.

Wir sammeln uns hinter meinem Auto, nehmen die Rucksäcke raus, schnüren die Schuhe fest, setzen die Stirnlampe auf, dann ein letzter Blick mit LED Unterstützung in den Kofferraum. Niemand hat was vergessen, zumindest nicht im Kofferraum. Wir nehmen es gemütlich und ich gehe voran. Ich brauche zwar 20 Minuten länger als andere auf diesen Berg, aber wer will schon mit letzter Kraft auf dem Gipfel keuchend ankommen – ich definitiv nicht.

An einigen Stellen ist es sehr rutschig, aber wir laufen bedacht. Bis zur ersten Ebene. Man sieht Richtung Bodensee, und die Alpe Wurzach liegt uns zu Füssen. Wir werden danach beim GH Öberle/Edelweisshütte – bei Kathrin Dietrich mit Familie und EdelweißTeam – auch unseren zNünar zu uns nehmen – ein Bergfrühstück-Buffet für Bergkammeraden.

Ich finde es immer spannend wie mich dieser Berg vera……. ähm verschaukelt. Man sieht das Kreuz, aber es ist schon noch noch ein Stück zu laufen.

Am Gipfelkreuz angekommen sind nur wenige Personen oben – sie haben den Sonnenuntergang auch noch betrachtet, und freuen sich jetzt auf die ersten warmen Sonnenstrahlen. Da ich gerne ein Held bin, habe ich ihnen einen heissen Kaffee aus meiner Thermoskanne angeboten. Man hilft einander, auch wenn ich ihnen meinen Kaffee fast aufdrängen musste. So schlimm schmeckt er auch wieder nicht; er ist stark gebrüht. Man kann über Gewichtsoptimierung auch diskutieren, aber das nächste Mal nehme ich meine kleine Bialetti (Mokkakocher) und ein Gaskocher mit – ich vermute, dass der Kaffee direkt am Gipfel zubereitet viel besser ist. 

Der Blick auf den Bodensee, oder fast senkrecht hinunter ins Tal ist wunderschön und sehr ruhig. Wir haben einen Tag erwischt, bei denen nicht viele Leute auf die Kanisfluh gehen. Ein paar Meter weiter hört man die nächste Gruppe die es grad noch zum Sonnenaufgang schafft.

Die Sonne geht auf, alle sind still, andächtig, machen Photos – auffällig, dass man nur noch mit Smartphones photographiert, und ich der Einzige mit System-/Spiegelreflexkamera bin – aber egal – fällt einfach auf. Bezügl. Gewichtsoptimierung im Rucksack – das nächste Mal lass ich sie daheim.

Schnell ist eine Stunde vergangen, mit zig Photos und sehr vielen Selfies. Social Media freut sich, wobei ich es nicht gleich posten kann, da ich keinen Handyempfang habe. Zum Glück! Es könnte mich ja jemand aus dieser Stimmung reissen, und mir diesen Augenblick vermiesen.

Wir räumen ruhig zusammen und laufen behutsam den teilweise rutschigen Weg zurück. Stolz, zufrieden, etwas erschöpft kehren wir ein, und planen bereits das nächste Wiedersehen mit dieser, unserer Kanisfluh. Üsa Kanis.

eBike, Hike & Chill | Kanisfluh

Mit dem eBike von Mellau bis zum Alpengasthaus Edelweiss (1495m) – zu Fuß auf Üsa Kanis (2044m).

Bike Verleih:
Zwei Sportgeschäfte in Mellau – Sport Broger und Sport Natter – bei denen man eBikes für diese Tour ausleihen/buchen kann.

Bike:
Diese Biketour beginnt in Mellau bei einem guten Frühstück. Einige Hotels, Restaurants, Gasthäuser, Cafes bieten ein tolles reichhaltiges Frühstück an. Dann das reservierte Bike beim “Brogar” oder “Sattlar” holen. Der Weg von Mellau, Enge, Hirschau, Schnepfau, AuerWald nach Au, das schon eine sehr schöne Strecke zum Abschalten. Nach einem kurzen Anstieg auf der Auer/Damülser Straße zweigt man rechts auf die Fortstraße ab. Die Forststraße ist im guten Zustand, man kann sie auch mit einem Auto befahren. Am Fuße der Kanisfluh liegt der Alpengasthof Edelweiss. Auch hier wird man gut bewirtet, und einen frisch gebrühten Kaffee auf der Terrasse, die Zeit bleibt kurz stehen. Hier kann man sein Bike parken/abstellen.

Hike:
Beim Edelweissgasthof am Öberle beginnt der ca. 1,5 Stunden dauernde Anstieg. Das Gebiet um den Berg ist Lebensraum von ca 80 Stück Steinwild, aber auch von knapp  1.000 verschiedenen Schmetterlingsarten. Dank der Bürgerinitiative Üsa Kanis bleibt dieser Berg unberührt. Auf dem Gipfel hat man einen wunderschönen Rundumblick in den Bregenzerwald und wenn gute Sicht ist, bis zum Bodensee. Der Abstieg auf den selben Weg wieder retour zum Gasthof Edelweiss, auf ein Erfrischungsgetränk.

Bike:
Man kann entweder den Weg über Au wieder zurück nach Mellau fahren, oder man fährt weiter Richtung Alpe Wurzach und Alpe Kanis bis zur Rossstelle. Bei der Roststelle gibt es das Restaurant Simma und Alphof Rossstelle. Beide Restaurants laden zum Mittagessen ein. Am Sonntag oft mit Frühschoppen und Livemusik. Wenn der Musikverein Mellau, die Mellentaler, oder viele andere Unterhalter zum Frühschoppen aufspielen. Von hier geht es entweder mit der Bahn hinunter nach Mellau, oder man erweitert die Route, und fährt die SkiAbfahrt über Alpe Wildgunten und Alpe Suttis nach Mellau, oder man wählt die Strecke über’s Mellental.

Chill:
Chill ergänzen wir noch mit “Grill”, und können uns darunter folgendes vorstellen:
Schwimmbad, Garten, Bregenzerach, Mellenbach, Ausklang auf einer Terrasse, grillen, Abendessen, AfterTourDrink, Kaffee, Kuchen, alles was man nach dieser Tour verdient hat. Gemütlich rasten, das Erlebte nochmal in Gedanken erleben, und die Photos auf dem Smartphone anschauen, welche man bei der Tour gemacht hat, bevor man diese auf div. SocialMedia seiten postet. #mellau 🙂


Unsere Wanderwege sind keine Downhillstrecken für Biker! Die meisten Wege befinden sich in Naturschutzgebieten. Wanderwege sind für Wanderer und Biker da. Bremsbereites und vorausschauendes Fahren ist angebracht. Der Weg um die Kanisfluh ist breit genug, um ein freundschaftliches, respektvolles und sicheres Miteinander aller Sportler zu ermöglichen.

Landesrecht konsolidiert Vorarlberg: Gesamte Rechtsvorschrift für Verordnung der Landesregierung über das Landschaftsschutzgebiet „Kanisfluh“ in Au, Mellau und Schnepfau, Fassung vom 25.06.2020

Verordnung der Landesregierung über das Landschaftsschutzgebiet „Kanisfluh“ in Au, Mellau und Schnepfau. StF: LGBl.Nr. 39/2020

Präambel/Promulgationsklausel

Auf Grund der §§ 26 und 35 Abs. 5 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung, LGBl.Nr. 22/1997, in der Fassung LGBl.Nr. 72/2012, Nr. 70/2016 und Nr. 67/2019, wird verordnet:


§1
Schutzgebiet

Das in den Anlagen 1 bis 10, einschließlich den Erläuterungen dazu, rot umrandete Gebiet in den Gemeinden Au, Mellau und Schnepfau ist nach dieser Verordnung als Landschaftsschutzgebiet geschützt.


§2
Schutzzweck

Zweck der Errichtung des Landschaftsschutzgebietes ist es,

  1. die landschaftsbildliche Schönheit und Eigenart des Kanisfluhbergstockes in seiner weitgehenden Natürlichkeit und einzigartigen geomorphologischen Ausprägung und mit seinen durch langjährige pflegliche Nutzung entstandenen Alp- und Vorsäßgebieten zu erhalten sowie die Biodiversität auch durch die nachhaltige land-, forst- und alpwirtschaftliche Nutzung zu sichern;
  2. das Gebiet mit seinem besonderen ästhetischen Reiz als naturnahen Erholungsraum für die Bevölkerung zu erhalten, soweit dies mit dem Schutzzweck nach lit. a vereinbar ist.

§3
Schutzmaßnahmen

(1) Im Schutzgebiet dürfen keine Veränderungen oder sonstigen Einwirkungen vorgenommen werden, die geeignet sind, den Schutzzweck nach § 2 zu beeinträchtigen. Danach ist es insbesondere verboten,

  1. Anlagen wie Gebäude, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Straßen und Wege, Werbeanlagen sowie Einfriedungen zu errichten oder zu ändern; davon ausgenommen ist die Nutzung oder Änderung eines bestehenden Maisäß-, Vorsäß- oder Alpgebäudes als Ferienwohnung im Sinne der §§ 16 Abs. 4 lit. d und 58 Abs. 3 Raumplanungsgesetz;
  2. abseits von markierten Wegen oder Straßen zu gehen, zu reiten oder zu fahren und abseits von ausgewiesenen Schirouten zu gehen oder zu fahren;
  3. Geländeveränderungen vorzunehmen, Bodenbestandteile wegzunehmen und Materialien abzulagern oder zu lagern;
  4. Pflanzen oder Pflanzenteile zu entfernen, ausgenommen Pflegemaßnahmen im Auftrag der Behörde im Zuge der Neophytenbekämpfung;
  5. Abfälle oder andere Verunreinigungen zurückzulassen;
  6. Wohnmobile oder Wohnwagen aufzustellen oder zu zelten;
  7. ohne zwingenden Grund Störungen durch Lärm, Licht oder auf sonstige Weise zu erregen;
  8. den Modellflugsport auszuüben oder das Gelände mit Luftfahrzeugen, Luftfahrtgeräten, Flugmodellen oder unbemannten Luftfahrzeugen (z.B. Drohnen) in einer Höhe von weniger als 300 m zu überfliegen.

(2) Der Abs. 1 gilt nicht für:

  1. die widmungsgemäße Benützung, den Betrieb und die Instandhaltung rechtmäßig bestehender Anlagen;
  2. die zeitgemäße und ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche sowie die zeitgemäße und ordnungsgemäße jagd- und fischereiliche Nutzung, einschließlich der dazu notwendigen Errichtung und Erweiterung von bestehenden Gebäuden und Anlagen;
  3. die Beseitigung durch Elementarereignisse entstandener Schäden.

§4
Bewilligung von Ausnahmen

(1) Von den Vorschriften des § 3 können auf Antrag oder von Amts wegen Ausnahmen bewilligt werden, wenn ein Vorhaben

  1. aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zwingend notwendig ist, oder
  2. den Schutzzweck nicht langfristig beeinträchtigt und andere öffentliche Interessen, insbesondere land- und forstwirtschaftliche Interessen, überwiegen.

(2) Durch Bedingungen oder Auflagen oder durch eine Befristung der Bewilligung ist sicherzustellen, dass die Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes nicht oder möglichst wenig beeinträchtigt werden.

Quelle

Verordnung, Anlagen im PDF Format , Erläuterung sind im Bericht auf Seite 2 ersichtlich.

Wanderung zur Trutzburg

So nennt der Psychiater Reinhard Haller den Hausberg des Bregenzerwaldes, die Kanisfluh. Auf seiner Wanderung erklärt er, warum Wandern ein besonderes Mittel und die beste Vorbeugung gegen psychische Belastungen, ja Erkrankungen, bietet.

Die kontinuierliche Bewegung in der freien Natur fördert Selbstbewusstsein und Gesundheitsdisziplin. Auch führt sie zu besserer Stressresistenz und mehr Gelassenheit.

„Nichts flößt so viel Ehrfurcht ein wie der Anblick von Bergen.“ Das hat der frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan gesagt. Es fällt mir immer ein, wenn ich die Kanisfluh sehe, diesen grandiosen Berg, einen der schönsten der Alpen. Von den Dörfern an ihrem Fuß aus betrachtet, ist sie eine mächtige Schutz- und Trutzburg. Draußen im Tal wirkt sie wie eine Wächterin über die ganze Region und von der Ferne aus präsentiert sie sich als stolze Exponentin der Alpen.

Die Kanisfluh und ihre vielen verschiedenen Gesichter Kaum ein Berg ist menschenähnlicher: mit einem wuchtigen Haupt, dem Stoß, das der fast unscheinbar im Hintergrund liegenden Spitze die Show stiehlt. Mit breiten Felsschultern, die den Menschen unten Stärke und Unerschütterlichkeit vermitteln. Mit sich schutzmantelartig über das Tal ausbreitenden Abhängen, Halden und Fluhen, die Sicherheit und Geborgenheit verheißen. Mit Klüften und rippenartigen Falten, mit der sagenumwobenen Wirmsäule und einer mächtigen Basis. Das Erstaunliche aber sind die völlig unterschiedlichen Gesichter der Nord- und der Südseite: Kolossal, jäh und rau gegen den Vorderwald. Leicht, luftig und eher wie eine Kathedrale, wenn man sie von den Dörfern des hinteren Bregenzerwaldes aus betrachtet. Jeder, der die Kanisfluh sieht, fühlt sich fasziniert, jeder möchte sie einmal besteigen.

Wandern als Gegenmittel gegen Stress, Burnout und Demenz

Landschaften prägen die Menschen, und wo könnte das Wandern schöner sein als in einem so geheimnisvollen, mythologischen und heilsamen Gebirge? Wandern hat einen enormen gesundheitlichen Effekt – und Bergwandern erst recht. Die positiven körperlichen Auswirkungen, von Stärkung des Herz-Kreislauf-Systems über Regulierungen des Fett- und Zuckerstoffwechsels bis zur Verbesserung der Immunabwehr reichend, sind ja bestens erforscht. Könnte man eine Tablette entwickeln, die alle krankheitsvorbeugenden und heilenden Kräfte des Ausdauersports Wandern in sich vereinigte, wäre sie der pharmakologische Megaseller schlechthin. Erst in jüngerer Zeit beschäftigt sich die Wissenschaft mit den Wirkungen des Wanderns auf die Psyche und bringt noch erstaunlichere Resultate: Wer wandert, kann Altersdemenz im besten Fall um Jahre verzögern. Wandern ist ein Antidepressivum ersten Ranges und eines der besten Mittel zur Verhinderung des Burnout, der Krankheit unserer Zeit. Es lehrt uns die Kunst des meditativen Versenkens viel leichter, effektiver und billiger als ein indischer Guru. Das kontinuierliche Bewegen in freier Natur fördert Selbstbewusstsein und Gesundheitsdisziplin, es führt zu besserer Stressresistenz und mehr Gelassenheit. Man muss nur eine gute Sensibilität für seinen körperlichen und seelischen Organismus entwickeln und in sich hineinhorchen. Dann erspürt man all diese Effekte und noch einige mehr.

Beim Wandern auf der Kanis zum eigenen Atem kommen

Den ersten steilen Anstieg ersparen wir uns und schweben mit der Bergbahn über den Waldgürtel auf die Roßstelle. Dort, im märchenhaften Bergwald, waren in meiner Kindheit noch Rübezahl und nach erster winterlicher Verzuckerung das Christkind zu Hause. Wir wandern hinein, über Wege und Stege, in den Talkessel der Alpe Kanis. So stellt man sich eine Farm in Kanada vor. Wäre das nicht eine grandiose Kulisse für einen Wildwestfilm? Weiter geht es durch Föhren und Bergblumen, vorbei an der Wurzacher Alphütte, die uns jetzt schon mit der Aussicht auf Rast und Stärkung auf dem Rückweg lockt. Nirgendwo klingen die Kuhglocken so sommerlich wie hier, da ist das Klischee von saftigen Alpwiesen und glücklichen Kühen erfüllt. Jetzt fühlen wir uns entspannt, wir lassen Stress und Ärger hinter uns, wir werden frei. Ist das nicht Luft-, Licht- und Farbtherapie in einem? Dann der Anstieg, nicht gefährlich, aber lang und heiß. Nunmehr wäre Kondition gefragt. Da hilft der Gedanke an Menschen, die verzweifelt um ihr Leibgefühl kämpfen, weil sie ihren Körper nicht mehr spüren. Dem schwitzenden, keuchenden Wanderer mit vor Anstrengung gerötetem Kopf und schmerzenden Muskeln ist seine Leiblichkeit durch und durch bewusst, da braucht es keine Therapie. Ob wir nun wollen oder nicht, spüren wir doch endlich wieder das Atmen als intensivste aller Körperfunktionen, können durch das tiefe Luftholen innere Blockaden lösen, und negative Emotionen hinauspusten. Als wir die Höhe erreichen, den Bergkamm der Holenke, stellt sich ein erstes Hochgefühl ein. Schlagartig hat sich die Kulisse geändert, der Blick in die Weite gibt ein Gefühl der Freiheit, ja einer gewissen Erhabenheit – und auch der Sehnsucht. Unten liegen die „Dörfle der Reihe nach“, wie es im Lied heißt. So nah ist der Bodensee, der Panoramablick schweift auf die Tiroler Alpen, über die trotz Gletscherschwund noch weißen Schweizer Berge und weit hinaus ins deutsche Land. Der letzte, nur scheinbar kurze Anstieg ist ein Hund. Er zieht und zieht sich, die Luft wird dünner, manche packen hier den Rucksack aus. Jetzt braucht man Willen und inneren Dialog. Jetzt bauen wir aber auch am meisten Aggressionen ab und steigern die Produktion von Glückshormonen. Am Gipfel sind alle stolz, sie gratulieren sich: passionierte Berggeher, Wandergruppen, ganze Familien und Kinder, die das erste große Bergabenteuer bestanden haben. Einen 2000er – sie werden es ein Leben lang nicht vergessen.

„Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen“

Auf dem Rückweg will der Fotograf schlechten Gewissens ein paar Aufnahmen mit einer Drohne machen. Es sei das neueste Modell und ganz leise. Der sofort erfolgende Protest von Wanderern, Ruhesuchenden und Erholungsbedürftigen besagt eindrucksvoll, wie sehr unberührte Natur und himmlische Ruhe von der gestressten Gesellschaft gesucht werden. Ein Wahnsinn, wenn man an den abgewehrten Plan denkt, den „heiligen Berg“ mit einem Steinbruch zu zerstören und die wundervolle Stille für dreißig Jahre zu vertreiben. Bei einem jetzt zu Recht als „wohlverdient“ bezeichneten Bier hören wir das Lachen der am Bergbach spielenden Kinder und sehen die Urlauberfamilien, die in der Flusslandschaft ein Paradies gefunden haben. Unwillkürlich spürt man angesichts des glasklaren, sprudelnden Wassers und der sich im Sommerwind wiegenden Gräser und Bäume ein wenig Mitleid mit denen, die sich am heißen, ausgedörrten Mittelmeerstrand langweilen müssen. In der Abendsonne im Tal angekommen, wird es noch einmal philosophisch, mit einem Gedanken Kierkegaards: „Ich habe mir meine besten Gedanken ergangen und kenne keinen Kummer, den man nicht weggehen kann.“ Und als ich, wieder vom Alltag eingeholt, meine Praxis betrete, muss ich unwillkürlich bekennen: „Natur und Wandern haben viele psychotherapeutische Funktionen – nicht weil ich von der Psychotherapie, meinem Beruf, so wenig, sondern weil ich vom Wandern so viel halte.“

Autor: Reinhard Haller

Quelle